Urteil des BAG vom 19.09.2012, Aktenzeichen: 5 AZR 942/11 – Vorbemerkung:
Verfallklauseln – auch als Ausschlussfristen bezeichnet – sind in der Praxis weit verbreitet. Sie sind eine wirklich ernst zu nehmenden Hürde bei der Wahrung oder Durchsetzung arbeitsvertraglicher Ansprüche. Unzählige Ansprüche im Arbeitsleben – insbesondere die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer – scheitern daran, dass auf Verfallfristen nicht geachtet wurde. Deshalb ist jedem Arbeitnehmer, aber auch jedem Arbeitgeber – z.B. bei Schadenersatzansprüchen gegen den Arbeitnehmer (!) – dringend anzuraten, alsbald aktiv zu werden und sich gegebenenfalls anwaltlichen Rat einzuholen, sobald sich bei Fälligkeit eines Anspruches Streit mit dem Vertragspartner abzeichnet!
Erscheinungsformen von Verfallklauseln/Ausschlussfristen:
Verfallklauseln kennt das Arbeitsrecht üblicherweise in zwei Varianten.
Einstufige Verfallklausel: Zum Einen wird in der Praxis häufig eine so genannte einstufige Verfallklausel vereinbart. Bei ihr verfällt ein Anspruch, wenn er nicht innerhalb einer bestimmten Frist ab Fälligkeit -schriftlich- gegenüber der anderen Vertragspartei geltend gemacht wird.
Zweistufige Verfallklausel: Zum Anderen kommen in Arbeitsverhältnissen auch häufig so genannte zweistufige Verfallklauseln zur Anwendung, bei denen der Anspruch zusätzlich dann verfällt, wenn er nach schriftlicher Geltendmachung und anschließender Ablehnung oder Untätigkeit des Vertragspartners nicht innerhalb einer bestimmten weiteren Frist gerichtlich geltend gemacht wird.
Der Verfall eines solchen Anspruchs bedeutet, dass er nach Überschreiten der vereinbarten Frist nicht mehr geltend gemacht und durchgesetzt werden kann. Nicht zu verwechseln sind Verfallfristen mit den -gesetzlichen- Verjährungsfristen. Verjährungsfristen sind regelmäßig wesentlich länger -in der Regel 3 Jahre- als Verfallfristen und bestehen unabhängig davon, ob auf ein Arbeitsverhältnis vereinbarte Verfallfristen zur Anwendung kommen oder nicht. Verfallfristen können nur für bestimmte Ansprüche vereinbart werden, in der Praxis aber regeln sie den Ausschluss grundsätzlich aller Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Regelmäßig müssen -jedenfalls vertraglich vereinbarte- Verfallfristen die Ansprüche beider Parteien des Arbeitsverhältnisses erfassen
Tarifliche Verfallklauseln:
Viele Tarifverträge enthalten Verfallklauseln. Für sie gibt es keine bestimmte Frist, die von den Tarifvertragsparteien zu beachten wäre. Das Bundesarbeitsgericht hatte -soweit ersichtlich- bisher nicht darüber zu entscheiden, ob eine tarifliche Verfallfrist zu kurz war, um wirksam sein zu können. Fristen von vier oder auch nur drei Wochen sind in Tarifverträgen vollkommen unproblematisch. Tarifliche Verfallfristen kommen auf ein Arbeitsverhältnis dann zur Anwendung, wenn entweder beide Vertragsparteien unmittelbar tarifgebunden sind und unter den Tarifvertrag fallen oder aber der Arbeitsvertrag inhaltlich auf einen Tarifvertrag Bezug nimmt, in dem Verfallfristen geregelt sind. Diese zweite Alternative darf nicht mit dem Fall verwechselt werden, in dem Ausschlussfristen im Arbeitsvertrag selbst vereinbart sind. Hierzu sogleich.
Arbeitsvertragliche Verfallklauseln:
Die Situation bei Ausschlussfristen, die die Parteien selbst unmittelbar in einem Arbeitsvertrag vereinbaren, ist anders als bei Geltung von tariflichen Verfallfristen. In aller Regel werden oder gelten solche Bedingungen als vom Arbeitgeber “gestellt”. D.h. der Arbeitgeber hat oder wird durch das Gesetz so behandelt, als habe er die Bedingungen in dem Arbeitsvertrag einseitig vorformuliert. Nach der Rechtsprechung sind arbeitsvertragliche Ausschlussfristen als “Allgemeine Geschäftsbedingungen” nach den §§ 305 ff BGB nur dann wirksam, wenn sie in jeder Stufe mindestens drei Monate betragen. Es muss also sowohl für die erste als auch für die zweite Stufe jeweils eine Mindestfrist von drei Monaten ab Fälligkeit des Anspruches vereinbart sein. Wird diese Mindestfrist unterschritten, sind die Verfallklauseln -jedenfalls für den Arbeitgeber, der die Bedingungen “gestellt” hat- unwirksam. Wichtig zu wissen ist aber, dass jede Stufe gesondert zu betrachten ist. Wird in der ersten Stufe die Dreimonatsfrist gewahrt, bleibt sie regelmäßig auch dann gültig, wenn die zweite Stufe eine zu kurze Frist regelt. Es ist also nicht so, dass die Unwirksamkeit der zweiten Stufe, in der die Ansprüche der Parteien des Arbeitsvertrages in einer zu kurzen Frist gerichtlich geltend gemacht werden müssen, automatisch auch zu Unwirksamkeit der ersten Stufe führt. Ein Anspruch muss also auch in einer solchen Fallkonstellation innerhalb einer Frist von zumindest drei Monaten nach Fälligkeit – schriftlich- geltend gemacht werden.
Beginn von Ausschlussfristen:
Wann die Frist zu laufen beginnt, ist zunächst eine Frage der Auslegung der vertraglichen Regelung. Regelmäßig beginnt die Ausschlussfrist mit der Fälligkeit, jedenfalls aber nicht schon mit der Entstehung des Anspruchs zu laufen. Fälligkeit liegt dann vor, wenn der Gläubiger berechtigt ist, die Leistung zu verlangen (§ 271 BGB). Richtigerweise wird in Analogie zu den Verjährungsvorschriften angenommen, Voraussetzung für den Fristbeginn sei, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr.2 BGB). Subjektive Umstände spielen hierbei jedoch keine Rolle. So beginnt eine Ausschlussfrist auch dann zu laufen, wenn der Gläubiger die anspruchsbegründenden Umstände zwar kennt, sie jedoch falsch auslegt oder einschätzt. Gleiches gilt bei Unsicherheit, ob der Anspruch durchgesetzt werden kann. Es ist auch nicht notwendig, dass der Gläubiger den Anspruch in allen Einzelheiten, insbesondere der Höhe nach kennt.
Ausschlussfristen und Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber:
Wird ein Arbeitnehmer gekündigt und hält er die Kündigung für unwirksam, muss und wird er rechtzeitig Kündigungsschutzklage erheben. Für den Arbeitnehmer besteht dann das -weitere- Problem, dass seine Entgeltansprüche für die Zeit nach dem -streitigen- Kündigungszeitpunkt den Ausschlussfristen unterliegen, also während des Laufens des Kündigungsschutzprozesses verfallen können. Das Bundesarbeitsgericht hat dem Arbeitnehmer zunächst dadurch geholfen, dass es in der Erhebung der Kündigungsschutzklage zugleich die Geltendmachung derjenigen Ansprüche sieht, deren Bestand vom Ausgang des Verfahrens abhängen. In der Regel geht es hier um die monatlichen Entgeltansprüche des Arbeitnehmers, die nach dem vermeintlichen Kündigungszeitpunkt fällig werden. Mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage wird grundsätzlich die erste Stufe einer vereinbarten Verfallklausel gewahrt. In Abkehr zu seiner bisherigen Rechtsprechung sieht das Bundesarbeitsgericht seit seiner Entscheidung vom 19.09.2012 (Aktenzeichen 5 AZR 924/11) -die auf eine Entscheidung des BVerfG vom 01.12.2010 zurückgeht- nunmehr auch die zweite Stufe einer Ausschlussfrist – also die rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung fälliger Ansprüche – mit der rechtzeitigen Erhebung einer Kündigungsschutzklage als eingehalten an. Für die Ansprüche eines gekündigten Arbeitnehmers gilt also, dass er mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage die vom Erfolg dieses Prozesses abhängigen Ansprüche sowohl in der ersten als auch in der zweiten Stufe einer vereinbarten Verfallklausel rechtzeitig -außergerichtlich und gerichtlich geltend- macht. Er ist nicht mehr darauf angewiesen, neben der Kündigungsschutzklage noch zusätzlich eine bezifferte Zahlungs- oder Feststellungsklage zu erheben, um auch die Voraussetzung der zweiten Stufe einzuhalten.
Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, darauf zu achten, dass sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur auf solche Ansprüche bezieht, die vom Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens abhängen. Dies sind eben in der Regel die künftigen Entgeltansprüche des Arbeitnehmers. Andere Ansprüche müssen eigenständig und rechtzeitig innerhalb der vereinbarten ersten und/oder zweiten Ausschlussfrist geltend gemacht werden. Andernfalls verfallen sie!